Der Dezember beginnt und noch immer rauschen keine schaurigen Winterprognosen durch die Medien. Fällt der Winter heuer aus? Höchste Zeit für eine panische Recherche! Gefunden habe ich dabei übrigens auch dubiose ukrainische Date-Angebote und nicht weniger dubiose Schnarchexperten und Eizellen-Spenderinnen.
Vor einem Jahr war die Welt noch in Ordnung. Am 19. September 2017 hat meine Telefon geläutet und es gab die erste Anfrage einer österreichischen Zeitung (bunt und teils gratis) zum Thema: „Bekommen wir weiße Weihnachten?“.
Und das war nur der Auftakt zu sehr, sehr vielen Anfragen zu einem angeblich bevorstehenden extrem kalten Winter.
Winterliche Kettenreaktion
Der Grund für diese Lawine an Anfragen: Einen Tag davor, am 18. September 2017, war auf Krone.at zu lesen: „Kältester Winter seit 100 Jahren im Anmarsch“.
Der Grund für diesen Krone.at-Artikel war wiederum: Zwei Tage davor, am 16. September 2017, titelte Sputniknews, der deutsche Ableger eines russischen Nachrichtenportals: „Winter is coming: Tiefste Kälte seit 100 Jahren im Anmarsch – Klimaexperte“
Der Grund für diesen Artikel war wiederum ein Interview einer britischen Zeitung mit einem Briten namens James Madden. Er betreibt die Ein-Mann-Firma „Exacata Weather“. Er war also der Auslöser dieser Jahrhundertwinter-Kettenreaktion. Ein Grund, ihn sich genauer anzusehen.
Davor übrigens noch eine kurze Zusatzinfo. Der angeblich „kälteste Winter seit 100 Jahren“ brachte in Österreich (->Details siehe hier) einen Dezember mit relativ durchschnittlichen Temperaturen, den drittwärmsten Jänner der Messgeschichte und einen relativ kalten Februar. Das ergibt insgesamt einen leicht zu milden Winter 2017/18. In Deutschland war der Winter 2017/18 etwas zu mild und relativ nass, und in Großbritannien war er eine Spur kühler als im Mittel und relativ trocken.
Ein Mann für bestimmte Vorhersagen
OK, diese Wintervorhersage war also völlig falsch. Aber das kann bei Langzeitprognosen passieren. Wir sollten uns Herrn Madden trotzdem ansehen. Denn es ist doch sehr beachtlich, dass die Vorhersage einer einzelnen Person von England zunächst nach Russland, dann nach Deutschland und dann nach Österreich kommt. Und hier zu „…droht Europa nun ein Winter der Eiseskälte … prognostizieren … britische Klimaforscher“ wird.
Eine einfache Google-Suche liefert unendlich viel Material zu James Madden. Ich versuche die Sache hier möglichst kurz zu halten:
James Madden wird in den britischen Medien sehr oft mit Langfristprognosen zitiert, ganz besonders in den Boulevard-Medien Daily Express und Daily Mirror.
Zum Thema Winter gab es in den letzten Jahren zum Beispiel folgende Schlagzeilen:
November 2012: ->Coldest winter in 100 years on way
November 2013: ->Worst winter in SIXTY YEARS
Oktober 2014: ->Winter 2014 set to be ‚coldest for century‘
September 2015: ->Coldest winter for 50 YEARS
November 2016: ->SNOW for 120 days: Shock UK winter weather forecast
Oktober 2017: ->… MONTHS of SNOW … COLDEST winter since GREAT FREEZE
Diese Artikel haben nicht nur ein gemeinsames Thema (im Sinne von „Winter des Wahnsinns im Anmarsch“) sondern auch eine gemeinsame Trefferquote: Die Winter waren immer völlig anders, als von Herrn Madden vorhergesagt. Der „Coldest winter for 50 years“ zum Beispiel (Winter 2015/16) war in Großbritannien der drittwärmste Winter der Messgeschichte.
Darf´s ein bissl mehr sein?
Eigentlich könnte man die Recherche hier beenden. Mit dem Fazit: Ein schräger britischer Vogel schafft es, immer wieder die britische Medienwelt in vorwinterliche Aufregung zu versetzen und steckt damit manchmal sogar die Medien bis Österreich an. Seine Winterprognosen sind immer falsch, also vergessen wir die Sache.
Aber es weil es Großbritannien ist, finden wir in dieser Geschichte noch ein paar zusätzliche Schmankerl versteckt.
Wunderbar finde ich zum Beispiel zwei Artikel von George Monbiot, der für „The Guardian“ schreibt.
Ich kann empfehlen, diese Artikel vollständig zu lesen (die Links folgen gleich). Ich zitiere hier aus Platzgründen nur ein paar Auszüge.
Weil doch eine kaputte Uhr auch exakt richtig sein kann
Der Artikel vom April 2015 titelt mit „Daily Express weather warning: beware a shower of extreme inaccuracy“ (->hier der Link) und versucht unter anderem, vom selbsternannten Spezialisten für Langzeitprognosen ein paar Antworten zu bekommen. Geantwortet hat James Madden dann wirklich, allerdings mit einem Wust an Gepolter und Drohungen und mit ein paar sehr schrägen Zugängen. Zum Beispiel mit der verblüffenden Logik „Darf ich Sie erinnern, dass eine kaputte Uhr zwei Mal am Tag die richtige Zeit anzeigt.“
Damit hat er natürlich recht. Die Chancen stehen gar nicht schlecht, dass seine jährlich wiederkehrende Prognose „Einer der härtesten Winter der letzten Jahrzehnte kommt“ irgendwann stimmt. Vielleicht muss er dafür sehr, sehr alt werden, aber ausgehen könnte es sich – mit ein wenig Glück zumindest.
Ein Wetter-Team mit seeeehr vielen Talenten
In seinem Artikel erzählt „The Guardian“-Autor George Monbiot auch, dass es schon vor James Madden einen ähnlich Wetterspezialisten gab und er verweist auf einen früheren Artikel.
Und das ist ein ganz wunderbares Stück britisches Wetter-Medien-Kabarett (ein absoluter Lesetipp! ->hier der Link). Hinter dem etwas gespenstischen Titel „Do the weather forecasters quoted by the Daily Mail actually exist?“ verbirgt sich eine kleine Nachforschung zur Wetterfirma Positive Weather Solutions (PWS), die vor einigen Jahren mit vielen unsinnigen Prognosen Schlagzeilen machte – ähnlich wie James Madden auch mit absurden Langzeitprognosen.
Die Website von PWS zeigte damals mehrere Fotos von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die der „The Guardian“-Autor mit in einer Bildrecherche untersuchte.
Mit sehr schönen Ergebnissen. Zum Beispiel:
Das Foto von „Serena Skye, contributing weather forecaster“ ergab zum Beispiel Webtreffer unter „mail-order bride“, „hot Russian date“ und „hot Ukrainian date“.
Ähnlich beachtlich die berufliche Breite der vermeintlichen Wettexpertin „Kelly Smart“. Mit ihrem Foto war sie unter anderem auf Websites als Eizellen-Spenderin, „hot date“, Vermieterin in Schweden, Anwältin, Schnarchexpertin, safe sex und als Expertin für Reinigung.
Und „Emma Pearson, assistant weather forecaster“ erschien auf 49.800 Frisuren-Websites als Model für Emo-Style.
In einem Telefont mit dem Journalisten gab der Chef der Wetterfirma PWS zu, dass es zu den Fotos vielleicht nicht in allen Fällen wirklich auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gäbe. Und einige Zeit nach dem Artikel schrieb er: „…I have taken the decision after six years to close the business forthwith….“
Es wird der kälteste Winter seit zehn Jahren
Dass mit dem Ende von PWS der Wetterunfug kein Ende hatte, wissen wir heute. Mit James Madden wurde ein würdiger Nachfolger gefunden. Aber: Mir scheint, heuer wird seine Arbeit in Österreich nicht richtig gewürdigt. Das hole ich hier nach. Bei uns hat offensichtlich niemand bemerkt, dass schon seit 25. September eine Winterprognose online ist:
„UK weather forecast: Winter 2018 to be COLDEST for 10 YEARS with months of HEAVY SNOW“
Ist leider nur für UK, und nur der kälteste Winter der letzten zehn Jahre. Aber irgendein Zusammenhang mit Österreich wird sich da wohl finden lassen (->hier der Link, falls jemand eine Idee hat).
Unter uns gesagt
Übrigens, ganz unter uns gesagt: Es würde ich mich sehr reizen, irgendwo im Web so eine Extremwinterprognose in die Welt zu setzen und zu schauen, wer darauf aufspringt. Scheint ja nicht so schwer zu sein: Das muss nur a) irgendwie extrem klingen und b) mit irgendeiner halbwegs plausiblen Wetterlagen- oder Natur-Erklärung begründet sein.
Mache ich natürlich nicht. Wenn ihr also in den nächsten Tagen trotzdem vom „einem der x kältesten Winter aller Zeit“ hört, dann geht das ziemlich sicher auf eine Quelle wie James Madden zurück. Wobei, interessant wäre schon, ob … nein, das wäre ja wirklich unseriös …
Nachtrag: ein milder Winter?
Der Vollständigkeit halber seit noch gesagt, dass es auch seriöse Versuche zu Langzeitvorhersagen gibt. Wie das funktioniert, ist Thema für einen eigenen Blog. Das ist noch sehr experimentell und die Trefferquoten sind nicht berauschend, ganz besonders im Alpenraum nicht. Aber einen kurzen Blick sind diese zwei Karten zur Winterprognose des Deutschen Wetterdienstes auf jeden Fall wert (->hier die Website).
Momentan sieht es für den Großteil Europas nach einem relativ milden Winter aus, mit eher normalen Niederschlagsmengen.
Wobei man auf den Karten auch den Zusatz „nicht-schraffierte Regionen: gute Vorhersage in der Vergangenheit“ beobachten sollte, wo doch fast die gesamte Karte schraffiert ist.
Vielleicht sollte ich doch … nein, das wäre wirklich unseriös.
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