Die Vorhersagekarten zeigen ihn schon, ab morgen Freitag könnte er auch am Satellitenbild zu sehen sein: Ein Wirbelsturm im Mittelmeer, der aussieht wie ein Hurrikan. Entsteht gerade ein Medicane?
Im Mittelmeer braut sich derzeit ein relativ ungewöhnliches Wetterphänomen zusammen. Für das Gebiet zwischen Sizilien und Griechenland zeigen die Vorhersagemodelle eine Windfeld, wie wir es von Hurrikans im Atlantik kennen (siehe Bild 1).
Ganz einig sind sich die Modelle noch nicht, was da passiert. Eine Variante: Ein Medicane entsteht, und er zieht am Wochenende mit heftigen Sturmböen und enormen Regenmengen nach Griechenland.
Was ist ein Medicane?
Der Name Medicane ist ein Kunstwort. Er setzt sich aus „Mediterranean Sea“ (Mittelmeer) und „Hurricane“ (Hurrikan) zusammen. Ein Medicane sieht auf dem Satellitenbild wie ein Hurrikan aus: Ein mächtiger Wolkenwirbel, der sich gegen den Uhrzeigersinn dreht. In der Mitte befindet sich das „Auge“, also ein wolkenfreies Gebiet (siehe Bild 2).
Der Begriff entstand in den 1980er-Jahren. Damals etablierten sich Satellitenbilder immer mehr als wichtiges Hilfsmittel der Meteorologie. Auf Satellitenbildern des Mittelmeers sah man überraschenderweise – selten aber doch – Wolkenwirbel mit einem Auge. Bald entstanden die ersten wissenschaftlichen Studien zu diesem bisher unbekannten Phänomen. Nach und nach erkannte man die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen einem Medicane und einem Hurrikan. Aber auch heute gibt es noch einige Unklarheiten rund um diese seltenen Wirbelstürme im Mittelmeer.
An einem Tag so viel Regen wie normal im gesamten Jahr
Ähnlich wie ein Hurrikan kann ein Medicane Sturm und viel Regen bringen. Die Windböen erreichen aber „nur“ die Kategorie 1 der Saffir-Simpson-Hurrikan-Skala, also 119 bis 153 km/h. Meistens bleiben sie in der Größenordnung eines tropischen Sturms (63-118 km/h).
Die möglichen Regenmengen in Verbindung mit einem Medicane gibt der Deutsche Wetterdienst mit im Extremfall bis zu 500 Millimeter innerhalb von 24 Stunden an. Zum Vergleich: In Wien und Berlin kommen in einem gesamten Jahr rund 600 Millimeter Niederschlag zusammen. Oder im Zusammenhang mit einem Medicane der wichtigere Vergleich: In Athen regnet es in einem gesamten Jahr rund 420 Millimeter.
Selten und kleiner als ein Hurrikan oder ein normales Tief
Ein typischer Medicane hat einen Durchmesser von etwa 70 bis 200 Kilometer und existiert nur wenige Stunden oder maximal ein paar Tage. Er ist also deutlich kleiner und kurzlebiger als ein Hurrikan. Denn über dem Mittelmeer ist im Vergleich zu den riesigen Flächen des Atlantiks zu wenig Platz, damit sich ein System von der Größe eines Hurrikans entwickeln kann. Sobald der Medicane mit Land in Kontakt kommt, verliert er rasch an Stärke – so wie das auch mit einem Hurrikan nach dem Auftreffen an Land passiert.
Zur Häufigkeit findet man je nach Studie unterschiedliche Zahlen. Grob kann man sagen: Im Mittelmeer gibt es durchschnittlichen ungefähr einen Medicane pro Jahr.
Kalt/Warm –> Gewittersysteme –> Medicane
Die Entstehung eines Medicanes lässt sich vereinfacht so erklären: Sie entstehen vor allem im Herbst und Winter. Wenn von Norden her ein Schwall kalter Luft nach Europa fließt, und es im Mittelmeer-Raum relativ warm ist, können über dem Mittelmeer heftige Gewittersysteme entstehen. In den Gewittern steigt massiv Luft nach oben (Aufsteigen ist Abkühlen und Kondensieren, daher regnet es hier), und am Boden entsteht eine Art Unterdruck (ein Tiefdruckgebiet).
Aus der Umgebung strömt Luft nach, um diesen Unterschied aufzufüllen. Durch die Drehung der Erde kann die Luft aber nicht gerade in die Gewittersystem strömen, sie wird abgelenkt. So entsteht allmählich ein sich drehender Wolkenwirbel. Verstärkt sich dieser Wirbel kann im Zentrum ein Bereich entstehen, in dem die Luft absinkt. Beim Absinken erwärmt sich die Luft und wird trockener. Daher verschwinden hier die Wolken und das Auge entsteht.
Werden Medicanes häufiger?
In den letzten Jahren haben sich einige Studie mit der Entwicklung von Medicanes in Vergangenheit und Zukunft beschäftigt. Da das Klima wärmer geworden ist und wahrscheinlich auch weiterhin wärmer wird, könnte das auch einen Einfluss auf die Häufigkeit dieser Wirbelstürme im Mittelmeer haben. Ein Schwierigkeit bei den Untersuchungen ist, dass Medicanes sehr seltene und (verglichen mit normalen Tiefdruckgebieten) relativ kleine und kurzlebige Wetterphänomene sind.
Unterschiedliche Studien mit unterschiedlichen Methoden brachten grob gesagt folgende Ergebnisse: Die Zahl der Medicanes könnte in den nächsten Jahren und und Jahrzehnten abnehmen, da in einem wärmeren Klima seltener die für die Bildung optimalen Wetterlagen entstehen. Die Stärke der Medicanes könnte in einem wärmeren Klima aber zunehmen, denn je wärmer Luft ist, desto mehr Wasserdampf kann sie aufnehmen.
Der aktuelle Stand der Wissenschaft ist also: In Zukunft dürfte es eher wenige Medicanes geben, die aber möglicherweise heftiger ausfallen.
Vor einem Jahr: Medicane Numa
Wie heftig ein Medicane sein kann, zeigte sich erst vor einem Jahr. Medicane Numa erreichte am 18. November 2017 Griechenland. Wie so oft bei großen Wirbelstürmen war das Hauptproblem nicht der Wind sondern der Regen. Aus der Umgebung von Athen gab es Meldungen von rund 150 Millimeter Regen in zwei Tagen. Überschwemmungen und Hangrutsche waren die Folge. Mehr 20 Menschen sollen damals in Griechenland in Zusammenhang mit Medicane Numa getötet worden sein.
Erst Sand aus der Wüste, dann viel Regen
Zurück zum aktuellen Wetter im Mittelmeer. Die Modelle sind sich derzeit noch nicht ganz einige über die weitere Entwicklung. Aber das europäische Vorhersagemodell ECMWF zeigt für Freitag und Samstag (27. und 28.9.2018) einen sehr markanten Sturmwirbel zwischen Sizilien und Kreta (siehe Bild 1 und Bild 3). Das ist übrigens eine der beiden typischen Entstehungsregionen für Medicanes. Die zweite ist das Gebiet zwischen den Baleraren und Korsika und Sardinien.
Auf der Karte erkennt man auch, dass dieser Sturmwirbel an seiner Ostseite (rechts) Luft aus Afrika ansaugt. Somit kann es ab morgen zu einem Phänomen kommen, das vor dem Eintreffen von Medicanes oft beobachtet wird. Es wird sehr warm und Saharastaub trübt den Himmel. Die Saharastaub-Vorhersage der ZAMG bestätigt das (siehe Bild 4).
Die Details für die nächsten Tagen lassen sich noch nicht verlässlich vorhersagen. Aber eines scheint ziemlich sicher: Besonders aus Griechenland werden wir einige Meldungen über die Auswirkungen von extremem Wetter hören, dazu können Probleme beim Fährbetrieb durch Sturmböen und sehr hohe Wellen gehören sowie Überschwemmungen durch Starkregen.
Ob dieses kräftige Sturmtief wirklich „offiziell“ zu einem Medicane wird, sehen wir erst morgen oder übermorgen. Sobald es ein gutes Satellitenbild mit markantem Auge gibt, füge ich es hier ein.
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Update 1 (27.9.18):
Kaum habe ich den Beitrag online gestellt, lese ich von meinem Wetter-Kollegen Panos Giannopoulos eine Meldung aus Athen: „… gestern und heute in der Ägäis Windstärke 9 bis 10 (ca. 75 bis 105 km/h) … kommt nur etwa ein Mal pro Jahr vor … morgen sind die Schulen in Athen geschlossen, wo 40 Prozent der Bevölkerung wohnen … “
Update 2 (28.9.18):
Der Medicane entwickelt sich weiter. Er erreicht aus derzeitiger Sicht morgen Samstag Griechenland und am Sonntag den Westen der Türkei. Die Windböen im Bereich des Medicanes liegen momentan stellenweise über 100 km/h und die Wellenhöhen erreichen etwa vier bis sechs Meter Höhe. Die vorhergesagten Regenmengen für morgen im Großteil von Griechenland liegen in etwa zwischen 50 und 200 Millimeter in wenigen Stunden. Zum Vergleich: Die Regenmengen für einen duchrschnittlichen gesamten September liegen in Griechenland bei 10 bis 60 Millimeter, vereinzelt um 80 Millimeter.
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