Der Vollmond bringt den Frost und der Storch die Babys?

Gestern Abend im ORF Teletext: „Marillen-Blüte drei Wochen früher: … problematisch sind nun frostige Nächte, besonders beim bevorstehenden Vollmond“. Hat der Vollmond einen Einfluss auf die Frostgefahr?

Quelle: ORF Teletext

Der Artikel im ORF Teletext erklärt zwar nicht, wie und warum der Vollmond genau wirken soll. Aber möglicherweise steckt der Glaube an Bauernregeln zum Thema Mond und Frost dahinter, die immer noch stark verbreitet sind. Gelegentlich höre ich: „Der Vollmond macht die Nächte besonders kalt.“ Aber hat der Mond wirklich einen Einfluss auf die Abkühlung in der Nacht?

Meiner Meinung ist der Zusammenhang zwischen Vollmond und Frost ähnlich richtig, wie der wissenschaftlich-statistisch sauber nachgewiesene Zusammenhang zwischen der Geburtenrate und der Zahl der Störche in Europa. Nein, stimmt nicht ganz. Der Zusammenhang zwischen Störchen und Babys ist besser.

Guter Mond, du gehst so …

Vorweg: Ich finde, jeder und jede soll das eigene Leben nach eigener Idee nach dem Mond ausrichten wir er/sie will oder nicht. Ein Wanderführer fragte mich vor einiger Zeit: „Ich plane meine Touren immer bei zunehmenden Mond. Da ist das Wetter am besten. Was sagst Du dazu?“. Meine Antwort, wie immer bei derartigen Fragen: „Ich kennen keinen stichhaltigen physikalischen Grund und keine seriöse Untersuchungen, die eine Auswirkung von Mondphasen auf die Großwetterlage oder auf Wetteränderungen zeigt. Aber wenn Du das Gefühl hast, das passt gut, dann mache es weiter so.“

Bestimmte Verhaltensweisen nach dem Mond – wie Haarschnitt, Baumschnitt, etc. – tun niemanden anderen weh und jeder soll sich nach Belieben daran halten, oder nicht.

In einigen Fällen sind Mondregeln aber meiner Meinung eindeutig falsch. Und trotzdem hört man dann: „Die Wissenschaft kann nicht alles erklären, der Mond hat viele Kräfte, die wir nicht verstehen.“

Der Zusammenhang zwischen Vollmond und Frost ist so ein Fall. Daher finde ich es ärgerlich, wenn das bis auf die Nachrichtenseite des ORF Teletext kommt. Sehen wir uns das Thema genauer an:

Über dem Gaisberg bei Salzburg geht der Mond auf. Quelle: wikimedia/Matthias Kabel

Der Boden ist unsere Herdplatte

Beginnen wir mit dem Wetter. Warum kühlt es in der Nacht ab und welche Faktoren beeinflussen das Abkühlen am stärksten?

Kalt wird es in der Nacht, weil die Sonne weg ist. So weit so simpel. Vielleicht nicht mehr ganz so selbstverständlich: Für die Temperatur in den untersten Luftschichten ist vor allem der Boden verantwortlich. Die Sonne erwärmt den Boden, der wiederum die unteren Luftschichten erwärmt. Mit wenig oder keiner Sonne kühlt der Boden aus, wodurch die unteren Luftschichten abkühlen.

Erwärmung und Abkühlung passieren somit von unten her. Der Boden ist also eine Art Herdplatte für die Luft in unserer Umgebung: aufgedreht = Topf mit Wasser wird wärmer, abgedreht = Wasser im Topf kühlt ab.

Das Rezept für das ideale Abkühlen

Welche Faktoren beeinflussen, wie stark es abkühlt?

  • Der Wind: Bei schwachem oder gar keinem Wind kann die Luft in Bodennähe in Ruhe abkühlen. Bei viel Wind wird dagegen das Abkühlen gestört, weil mildere Luft aus höheren Luftschichten dazugemischt wird.
  • Die Wolken: Je weniger Wolken, desto stärker kühlt es ab. Denn dann strahlt der Boden ungehindert Wärme in den Weltraum. Eine dichte Wolkendecke verhindert dagegen, dass die Wärme in den Weltraum entweicht und es kühlt in den unteren Luftschichten nur wenig ab.
  • Das Gelände: Je kälter Luft ist, desto schwerer ist sie. Kühlt Luft in der Nacht ab, fließt sie daher wie Wasser an die tiefsten Stellen einer Region. Wer beim Schifahren nach einer klaren Nacht in der Früh vom Berg ins Tal fährt, erlebt das selbst: Oben ist es in der Sonne schon angenehm warm, unten im Tal noch eisig kalt.
  • Die Art des Bodens: Je nach Beschaffenheit und Bewuchs verliert der Boden unterschiedlich stark Wärme. Die Details dazu würden hier aber zu weit führen und sind einen eigenen Beitrag wert.
Je weniger Wolken, desto kälter die Nacht (und desto besser sichtbar der Mond). Quelle: wikimedia

Zum Angeben: Korrelation ist nicht Kausalität

Damit kommen wir wieder zum Thema Vollmond und Abkühlung in der Nacht. Wer sagt „Schau den schönen Vollmond an, da wird es heute wieder ordentlich abkühlen“ hat recht und liegt trotzdem falsch.

Denn es ist nicht der Vollmond, der die Luft abkühlen lässt. Sondern: Wenn ich einen schönen Vollmond sehen kann, dann gibt es keine Wolken. Ohne Wolken kühlt es stark ab (siehe oben).

Das ist übrigens eine gute Gelegenheit, sich ein wenig mit Fachbegriffen wichtig zu machen. Zum Beispiel mit dem locker in die Runde geworfenen Hinweis: „Korrelation ist nicht zwingend Kausalität!“. Soll heißen: Es stimmt, dass es bei einem gut sichtbaren Vollmond in der Nacht deutlich abkühlt. Es gibt also einen Zusammenhang (eine Korrelation). Aber das heißt nicht zwingend, dass der Mond selbst das Abkühlen verursacht. Denn nur die fehlenden Wolken sind für das Abkühlen verantwortlich. Es gibt also keinen Ursache-Wirkung-Zusammenhang zwischen Vollmond und Abkühlen (es gibt keine Kausalität).

Do-it-yourself-Bauernregel

Einige dieser Mondregeln behaupten übrigens gar nicht, dass es einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang gibt. Zum Beispiel:

„Heller Mondschein im April, schadet den Blüten unendlich viel.“

Diese Aussage stimmt: Denn wenn ich hellen Mondschein sehe, dann gibt es kaum Wolken, und somit kühlt es in der Nacht stark ab.

Es wäre aber sinnvoller, die Regel zu ändern, was sich auch vom Reim her problemlos machen lässt:

„Kein Gewölk im April, schadet den Blüten unendlich viel.“

Aber zugegeben, das klingt natürlich bei weitem nicht so poetisch wie „heller Mondschein“.

Aber, aber, aber …

Falls jemand trotzdem nicht locker lässt, und darauf hinweist, dass der Mond doch Ebbe und Flut verursacht und daher sicher einen Einfluss auf die Luft und das viele Wasser in der Atmosphäre hat: Ja, ist gut möglich. Und minimale Zusammenhänge sind auch schon gefunden worden. Zum Beispiel:

Horst Malberg zeigt in seinem Buch „Bauernregeln aus meteorologischer Sicht“, für Berlin einen minimalen Zusammenhang zwischen Mondphasen und Bewölkung. Dabei geht es im Zeitraum von 20 Jahren um Schwankungen von etwa fünf Prozent. Aber: Erstens ist das zu wenig, um das Abkühlen stark zu beeinflussen. Zweitens gibt es nach dieser Auswertung zum Vollmond sogar eine Spur mehr Wolken als einem durchschnittlichen Tag. Das wirkt dem Abkühlen sogar entgegen (abgesehen davon, dass sich die Bewölkung ohnehin nur minimal ändert).

Auf ein ähnliches Ergebnis kam Bart Geerts von der Universität Wyoming (USA): „Die Nachttemperaturen sind bei Vollmond ein wenig höher als bei Neumond … zeigt eine weltweite Auswertung von Bodendaten … Der Unterschied ist aber nur 0,01 Grad, was gut zur Größenordnung der zusätzlichen Strahlungsenergie bei Vollmond passt. … zum Vergleich: Die Messgenauigkeit einer gewöhnlichen Wetterstation liegt bei 0,1 Grad.“

Große Füße machen gute Leser?

An den Satz „Korrelation ist nicht Kausalität“ sollte man übrigens immer denken, wenn man von neuen Studien hört oder liest, egal aus welchem Bereich. Um ein absurdes Beispiel zu nehmen: „Kinder mit großen Füßen lesen besser!“ Bewirkt das eine das andere oder ist es nur ein zufälliger Zusammenhang? Liegt es vielleicht eher daran, dass ältere Kinder besser lesen als jüngere und meistens auch größere Füße haben? Die Ursache-Wirkung kommt also nicht von der Schuhgröße sondern vom Alter. Ernster wird es dann zum Beispiel bei Schlagzeilen rund um „Wer täglich xy isst, bekommt keinen Krebs“. Wenn es hier nur einen zufälligen Zusammenhang gibt und keine Ursache-Wirkung, dann könnte das eine gefährliche Täuschung sein.

In diesem Zusammenhang noch kurz zu einem wirklich schönen Beispiel:

Von Störchen und Babys

Weil „Korrelation ist nicht Kausalität“ sehr oft zu Missverständnissen führt, aber nicht unbedingt leicht zu verstehen ist, hat Robert Matthews von der Aston University (Birmingham, UK) im Jahr 2000 eine sehr nette Untersuchung veröffentlicht.

Matthews hat für 17 Länder Europas die Zahl der Geburten mit der Zahl der Storchen-Paare verglichen. Das Ergebnis: Je mehr Storchen-Paare in einem Land leben, desto mehr Geburten gibt es.

Je mehr Storchen-Paare, desto mehr Geburten. Quelle: Robert Matthews (Teaching Statistics, 2000)

Bringt also doch der Storch die Babys?

Nein, weil „Korrelation ist nicht Kausalität“. Beim Zusammenhang „Je mehr Störche, desto mehr Babys“ muss die Zahl der Störche ja nicht unbedingt die Zahl der Geburten direkt beeinflussen. Ich würde behaupten, das lässt sich soagr ziemlich sicher ausschließen.

Und woher kommt dann der statistisch saubere Zusammenhang?

Weil es vielleicht etwas gibt, dass beide Faktoren beeinflusst, zum Beispiel die Größe eines Landes und die Zahl der Einwohner.

Denn: Je größer ein Land ist, desto mehr Menschen und Störche haben darin Platz. Und je mehr Menschen es gibt, desto mehr Geburten gibt es (meistens).

Somit beenden wir unsere Wetterzeit mit zwei Erkenntnissen:

  • Der Vollmond hat keinen Einfluss auf das Abkühlen in der Nacht (was daher auch nicht in seriösen Nachrichtenmedien angedeutet werden sollte).
  • Der Storch bringt nicht die Kinder (auch nicht bei Vollmond).

Denn: „Korrelation ist nicht zwingend Kausalität“. Ein Satz, der sich übrigens schon demnächst gut einsetzen lässt: beim nächsten Vollmond am 21. März 2019.